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  • Olivier Felber

DNA-Tests: Humbug oder Zukunft der Genealogie?

Gentests oder DNA-Tests werden kontrovers diskutiert. Anbieter wie MyHeritage werben damit, mit einem Test „genau zu bestimmen, woher auf der Welt“ die eigenen Vorfahren herkommen.[1] Experten wie der Molekularbiologe Martin Moder betonen dagegen, dass man nicht sieht, „wo DNA in Vergangenheit spazieren gegangen ist“. Man kann nur schauen, „mit welcher Wahrscheinlichkeit welche Gen-Regionen heute wo vorkommen.“[2] Auch aus anderen Gründen werden die Tests kritisch betrachtet. Aus der DNA lassen sich sensible Angaben wie Erbkrankheiten herauslesen. Zudem gibt es bezüglich der Anbieter Bedenken, was den Schutz der Daten, die Nähe zu Google oder die Herausgabe von DNA-Profilen an das FBI angeht.[3] Bei einem DNA-Test können ferner unliebsame Überraschungen ans Tageslicht kommen, beispielsweise dass die eigenen Eltern nicht die biologischen Eltern sind.


In diesem Beitrag soll es darum gehen, was man bei einem DNA-Test erwarten kann. Im Fokus stehen die Ethnizitätsschätzung und die Auflistung von Verwandten. Dabei sollen die Ergebnisse auch kritisch beleuchtet werden. Abschliessend wird der praktische Nutzen der Gentests insgesamt beurteilt. Ersetzen DNA-Tests in Zukunft den Gang in die Archive? Sind sie eine brauchbare Ergänzung zur traditionellen Familienforschung? Oder taugen sie gar nichts?


Auf die Grundlagen der DNA und die Funktionsweise eines Gentests wird hier nicht eingegangen. Einführungen in die Thematik findet man an verschiedenen Orten.[4]



Volltreffer oder Kaffeesatzlesen? Die Ethnizitätsschätzungen

Der Hauptgrund, weshalb sich Leute für einen DNA-Test entscheiden, dürfte die Aufschlüsselung des eigenen Erbgutes auf die verschiedenen Weltregionen sein. Leicht verständlich wird so die eigene Abstammung ansprechend dargestellt. Es wird eine eindeutige Beantwortung der Frage, von wo man herkommt, suggeriert.


Ich liess die DNA meiner Eltern, meiner beiden Grossmütter und von mir bei 23andMe[5] testen. Unsere Vorfahren sind fast vollständig bis ins 18. Jahrhundert zurück bekannt. Alle Ahnen stammten aus dem Gebiet der heutigen Deutschschweiz. Die meisten Familiennamen sind zudem schon sehr lange in der Schweiz bezeugt. Ich erwartete deshalb, dass sich dies auch im DNA-Test zeigt.


Die geografische Herkunft bei 23andMe deckt sich ziemlich gut mit der eigenen Familienforschung. Alle getesteten Familienmitglieder haben laut 23andMe zu 96.8 % bis 100 % nordwesteuropäisches Erbgut. Fast alles davon entfällt auf die Rubrik „Französisch und Deutsch“, wozu die Schweiz gehört. Als Beispiel ist unten die Ethnizitätsschätzung meiner Grossmutter väterlicherseits zu sehen.


Die Resultate meiner Grossmutter väterlicherseits auf 23andMe sind wenig überraschend: Der Grossteil ihrer DNA, ganze 98.1 %, ist demnach „Französisch und Deutsch“. Bild: 23andMe.


In einem geringeren Mass werden auch andere europäische Regionen angezeigt. Bei meiner Grossmutter väterlicherseits zeigt es 1.6 % skandinavische Herkunft an, bei meiner Mutter und mir 2.3 % beziehungsweise 2.6 % italienisches Erbgut. Interessanterweise haben wir alle, ausser meine Grossmutter mütterlicherseits, nordafrikanische DNA. Deren Anteil beträgt aber nur zwischen 0.2 % und 0.6 %.


Bei 23andMe kann man die Zuverlässigkeit der Resultate selber definieren. Als Standard ist „spekulativ“ eingestellt, also eine Sicherheit von bloss 50 %. Man kann diesen Wert bis auf 90 % erhöhen, wobei sich bei meiner Familie nicht viel ändert. Die Regionen werden minim ungenauer. Das skandinavische und nordafrikanische Erbgut fallen dabei vollständig weg. Von Zeit zu Zeit werden die Algorithmen auch angepasst, wodurch sich die Ergebnisse bei meiner Familie mehrmals verändert haben.


Daneben gibt 23andMe noch die länderspezifischen Regionen an, aus denen möglicherweise Vorfahren stammen. Diese scheinen nur beschränkt zuverlässig zu sein. Zwar zeigt es bei meinen Familienmitgliedern alle Kantone an, aus denen nachweislich Vorfahren stammen. Gleichzeitig werden aber auch viele Kantone und Regionen im Ausland angezeigt, zu denen bislang keine Verbindung bekannt ist.


Die DNA-Daten lud ich später noch bei MyHeritage[6] hoch, einem weiteren Anbieter von Gentests. Während die Schätzungen von 23andMe ziemlich genau der dokumentierten Abstammung entsprechen, sind die Ergebnisse bei MyHeritage weniger akkurat.


Auch MyHeritage gibt bei meinen Eltern und meiner Grossmutter mütterlicherseits in erster Linie eine nord- und westeuropäische Abstammung an, wozu die Schweiz gehört. Die Werte betragen zwischen 70.4 % und 78.1 %. Bei mir beträgt der Anteil aber nur noch 50.0 % und meine Grossmutter väterlicherseits hat angeblich gar keine DNA von dort, wie im Bild unten zu sehen ist. Dafür soll sie zu 31.8 % Skandinavierin, 22.2 % Iberin, 20.8 % Irin, Schottin und Waliserin, 14.5 % Griechin und Süditalienerin, 6.7 % Balkanbewohnerin und 4.0 % Engländerin sein. Meine Grossmutter mütterlicherseits soll zudem 6.5 % Finnin, mein Vater 12.4 % Balkanbewohner und ich 30.1 % griechisch und süditalienisch sein. Das passt nicht wirklich zur bekannten Abstammung.


So sieht die Ethnizitätsschätzung meiner Grossmutter väterlicherseits bei MyHeritage aus. Es werden fast alle Regionen in Europa angezeigt. Jedoch fehlt die Kategorie mit der Schweiz vollständig. Bild: MyHeritage.


Was noch auffällt, ist die Tatsache, dass die Prozentangaben bei MyHeritage von der Vererbung her gar nicht aufgehen. Mein Vater und meine Mutter haben beispielsweise keine iberischen Gene, trotzdem habe ich 2.8 % davon. Ebenfalls unklar ist, wie mein Vater 70.4 % Nord- und Westeuropäer sein kann, wenn seine Mutter keine solchen Gene besitzt.


Auch auf MyHeritage werden „genetische Gruppen“ angezeigt, zu denen die getestete Person gehören könnte. Diese Gruppen sind teilweise deutlich breiter gefasst als die Regionen bei 23andMe. So umfasst die Zentralschweiz etwa die Kantone Obwalden, Luzern, Nidwalden und fälschlicherweise Freiburg. Die Gruppenzuweisungen bei MyHeritage scheinen bei meiner Familie zuverlässiger zu sein als bei 23andMe, was aber auch an den breiter gefassten Gruppen liegen kann.



Tausende von Cousins: Die Auflistung von Verwandten

Gentests können nicht nur für die Ethnizitätsschätzung verwendet werden, sondern auch für das Aufspüren von Verwandten. Hierbei ist es natürlich notwendig, dass Verwandte einen DNA-Test gemacht haben. Zudem bestimmt die Wahl des Anbieters die Erfolgschance, da je nach Region andere Firmen beliebter sind.


Es braucht zudem eine gewisse gemeinsame DNA, um die Verwandtschaft einigermassen bestimmen zu können. Auf MyHeritage werden mir etwa 3‘000 Verwandte angezeigt, wie unten zu sehen ist. Davon sind aber nur die wenigsten näher verwandt. Ein gutes Hilfsmittel, um Verwandtschaften aufgrund der gemeinsamen DNA berechnen zu können, ist der DNA Painter.[7] Eine gemeinsame DNA von bloss 0.5 % ist beispielsweise wenig aussagekräftig, denn sie kann von einem Cousin 3. Grades stammen, ebenso aber auch von einem Cousin 8. Grades. Mit 1 % geteilter DNA kann man die Verwandtschaft bereits auf Cousins 2. bis 5. Grades einschränken. Je mehr gemeinsame DNA vorhanden ist, desto besser lässt sich die Verwandtschaft bestimmen.


MyHeritage zeigt mir ungefähr 3‘000 Verwandte an. Die meisten davon sind aber nur sehr weit entfernt mit mir verwandt. Bild: MyHeritage.


Auf 23andMe, wo die Mehrheit der Kunden anscheinend aus den USA stammt, hat meine Familie bislang nur einen einzigen Verwandten mit mehr als 1 % gemeinsamer DNA. Die anderen Personen sind alle weiter entfernt verwandt. Für die Familienforschung ist dies wenig nützlich. Deutlich mehr Erfolg hatte ich diesbezüglich bei MyHeritage, das bei Europäern und Schweizern populärer ist. Ich selber habe 16 Verwandte, die zwischen 1 % und 2.4 % DNA mit mir teilen. Meine Grossmutter mütterlicherseits hat 18 Verwandte mit mehr als 1 % gemeinsamer DNA, von denen der am nächsten Verwandte 8.1 % DNA mit ihr teilt. Meine Grossmutter väterlicherseits hat bloss drei nähere Verwandte, wovon einer jedoch 9.5 % DNA mit ihr teilt. Von Zeit zu Zeit tauchen auf MyHeritage neue, näher verwandte Personen auf.


Die Gründe, weshalb Leute einen DNA-Test machen, sind vielfältig. Manche wollen nur ihre Abstammung visualisiert haben und interessieren sich nicht weiter für ihre Familiengeschichte. Deshalb ist nicht garantiert, dass sich mit jedem Verwandten auch ein Kontakt ergibt. Viele dürften eingehende Nachrichten nicht mitbekommen, da sie nicht regelmässig reinschauen.


Die Auflistung von Verwandten ist vor allem wichtig, wenn man Blutsverwandte sucht, von denen man nichts oder nur wenig weiss. Das trifft etwa für Adoptivkinder zu, die ihre leiblichen Eltern suchen. Ich hatte einmal Kontakt mit einer Frau, die ihre leibliche Mutter suchte. Sie kannte nur deren Namen und das ungefähre Alter. Mit ihren Verwandten auf MyHeritage und der Suche in einer Familienchronik war es uns möglich, ihre Mutter zu finden. Für Adoptivkinder, die ihre leiblichen Eltern suchen, bilden DNA-Tests also einen guten, teilweise vielleicht sogar den einzigen Ausgangspunkt.



Neandertaler-DNA und Haplogruppen: Was sonst noch geboten wird

Neben der Ethnizitätsschätzung und den Verwandten gibt es noch weitere Informationen, die man mit einem Gentest herausfinden kann. Bei 23andMe wird beispielsweise die Haplogruppe der mitochondrialen DNA (mtDNA) und bei Männern die Haplogruppe des Y-Chromosoms (Y-DNA) angegeben.


Ganz kurz erklärt: Die Y-DNA wird jeweils vom Vater an den Sohn vererbt und ist nur bei Männern vorhanden. Die mtDNA wird von der Mutter an alle Kinder vererbt. Mit diesen beiden Haplogruppen kann man also theoretisch die rein väterliche und die rein mütterliche Ahnenreihe untersuchen.


Auch der Anteil der Neandertaler-DNA wird bei 23andMe ermittelt und mit den Werten anderer Kunden verglichen. So erfuhr ich, dass ich mehr DNA von Neandertalern besitze als 80 % der Kunden, wie man dem unteren Bild entnehmen kann. Für die klassische Familienforschung sind diese Angaben in der Regel aber wenig relevant.


Es ist interessant zu erfahren, wie viel Neandertaler-DNA man hat. Aber mit diesem Wissen kann man nicht wirklich etwas anfangen. Bild: 23andMe.



Fazit

Kann man mit Gentests die traditionelle Familienforschung ersetzen? Nicht wirklich, denn die Ethnizitätsschätzung ist nicht immer gleich zuverlässig. Zudem sind die Resultate doch eher vage. Die Kategorie „Französisch und Deutsch“ beispielsweise sagt nicht aus, wo genau die Vorfahren gelebt haben. Auch erfährt man nichts über das Leben der Vorfahren. Erst durch die Suche in schriftlichen Quellen lernt man mehr über die eigenen Ahnen, ihre Namen, Wohnorte, Berufe und Lebensgeschichten.


Gleichzeitig kann ein Gentest aufzeigen, in welche Richtung die eigene Forschung ungefähr gehen könnte. Vor allem Leute mit einer geografisch diversen oder völlig unbekannten Abstammung können so einen ersten Einblick erhalten. Je nach Anbieter variiert die Qualität der Resultate aber sehr. In meinem Fall scheint 23andMe relativ zuverlässig zu sein, MyHeritage hingegen weniger. Die Resultate sollen jedoch immer mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden.


DNA-Tests können zudem dabei helfen, den Kontakt mit verwandten Forschern herzustellen, was einen gewinnbringenden Austausch ermöglichen kann. Bei Schweizer Verwandten dürfte man auf MyHeritage eher fündig werden als bei 23andMe. Da es sich bei den Verwandten aber nicht immer um Familienforscher handelt, ist nicht garantiert, dass diese Interesse haben, Kontakt aufzunehmen.


Wer Bedenken bezüglich DNA-Tests hat, muss sich jedoch keine Sorgen machen: Man kann in der Regel auch ohne Gentest die eigene Familiengeschichte erforschen. Ein Test kann allerdings unter Umständen weiterhelfen, vor allem beim Auffinden von Verwandten. Bei unbekannten Eltern, was etwa bei Adoptivkindern der Fall ist, dürfte ein DNA-Test deshalb notwendig oder zumindest sehr empfehlenswert sein.


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[1] https://www.myheritage.ch/dna (Zugriff am: 30.11.2021).

[2] o. A.: MyHeritage, AncestryDNA, 23andMe & Co. Ist Ahnenforschung mit Gentests-to-go zuverlässig? Version vom 30.09.2019. In: MDR Wissen. https://www.mdr.de/wissen/podcast/challenge/ahnenforschung-vorfahren-gentest100.html (Zugriff am: 30.11.2021).

[3] Pettinger, Bianca: Online-DNA-Tests: Ein wahrer Datenschutz-Albtraum. Version vom 19.02.2020. In: Dr. Datenschutz. https://www.dr-datenschutz.de/online-dna-tests-ein-wahrer-datenschutz-albtraum/ (Zugriff am: 30.11.2021).

[4] Zum Beispiel: Scholz, Roman C.: DNA – Genealogie. Gentests als Hilfsmittel der Ahnenforschung. In: Familienforschung Schweiz. Jahrbuch 41 (2014). S. 223–232. https://dx.doi.org/10.5169/seals-698123 (Zugriff am: 30.11.2021).

[5] https://www.23andme.com/ (Zugriff am: 30.11.2021).

[6] https://www.myheritage.ch/ (Zugriff am: 30.11.2021).

[7] https://dnapainter.com/tools/sharedcmv4 (Zugriff am: 30.11.2021).

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